Toter Mann 1
Ich stell mir vor:
Er erwacht in der Früh,
steht auf,
und liegt tot im Bett.
Er erschrickt,
versucht sich zu wecken,
sich wach zu rütteln.
Aber er ist tot.
Kein Puls, kein Atem:
Jetzt hat er Angst.
Er will in sich hineinkriechen,
sich in sich zurücklegen.
Versucht sich zu beatmen.
Er hält sich in den Armen,
kalt ist er,
und leblos schwer.
Er klagt und schreit und weint,
schüttelt sich und drückt sich.
Bis er endlich schweigt.
Er versucht sich zu beruhigen:
‘Ein Traum nur’, denkt er jetzt,
‘ich brauch nur zu warten, bis er vergangen ist’.
Lang sitzt er da ganz ruhig.
Doch das Ende kommt nicht mehr:
Ein Ende kommt nie mehr.
Der Tag ist schon längst hell,
auf was soll er noch warten,
wenn er vergangen ist.
Toter Mann 2
Ich stell mir vor:
Er liegt im Meer,
in einem Meer von Gefühlen,
auf dem Rücken ganz ruhig,
und lässt sich treiben.
Bewegungslos, fast schwebend,
die Arme zu den Seiten hin,
treibt er an der Oberfläche und
wird von den Wellen umspült.
Er gibt sich ganz der Strömung hin,
so lang schon lässt er sich treiben.
Und verloren in der Unendlichkeit
wird er fortgetragen.
Da sind jetzt keine Grenzen mehr,
er beginnt sich aufzulösen:
In sich, durch ihn, dazwischen -
nach Innen und nach Aussen.
Kein richtig und kein falsch,
kein gut mehr oder schlecht:
Traum, Tod und Wirklichkeit.
Nichts eigen und nichts fremd.
Keine Wahrheit. Keine Zeit.
Er hat Angst sich zu verlieren -
und doch nichts zu finden:
Im Untergehen für immer sich verirren.
2003